Videoüberwachung von Arbeitnehmern

Videoüberwachung von Arbeitnehmern – generell zulässig oder unzulässig?

3,75 Milliarden Euro Verlust

…erleiden deutsche Einzelhändler – große Ketten wie (wo es ihn noch gibt) der kleine Krämer an der Ecke im Jahr – Stand 2018 – direkt durch Warendiebstahl. Weitere 1,45 Milliarden Euro Verlust entstehen durch Präventiv- und Sicherheitsmaßnahmen, die wegen des Drangs von Kunden, Lieferanten, Servicekräften und eigenen Mitarbeitern, sich am Eigentum der Einzelhändler zu vergreifen, erst notwendig werden.

Eine Summe von 1,01 Milliarden Euro, immerhin 27 % aller begangenen Diebstähle – soll dabei auf das Konto eigener Mitarbeiter der Bestohlenen gehen. Dies ist für alle ärgerlich, für einige – gerade stark betroffene kleinere Händler – mitunter existenzgefährdend.

Sehr verständlich ist dabei der – offenbar auch stark umgesetzte – Wunsch vieler Einzelhändler, sich gegen die massiven Schäden durch diese Diebstähle umfassend – und damit auch gegen eigene Mitarbeiter – abzusichern.

Die effizienteste Form der Absicherung ist es dabei wohl immer noch, den Laden- und Lagerbereich, in dem solche Diebstähle begangen werden oder werden können, möglichst umfassend zu überwachen. In moderner Form geschieht dies vor allem durch Videoaufnahmen, die zur Überführung von Tätern besonders effizient sind, wenn die möglichen Täter von diesen nichts ahnen, diese also heimlich erfolgen.

Sehr verständlich ist auch das Missbehagen, das auf der anderen Seite gerade diejenigen Menschen entwickeln, die solchen Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt sind – gerade solche, die als Mitarbeiter der jeweiligen Märkte solchen Maßnahmen nicht entkommen können, besonders dann, wenn sie gar nicht wissen, wo und wann Überwachung konkret stattfindet.

Umso wichtiger ist es – gerade dann, wenn von Ergebnissen solcher Überwachungsmaßnahmen durch Kündigung von Arbeitnehmern Gebrauch gemacht wird, aber auch, wenn Arbeitnehmer sich einzeln oder im Kollektiv (Betriebsrat!) gegen solche Maßnahmen zur Wehr setzen (wollen) – zu wissen, was der Arbeitgeber insoweit eigentlich darf – und was zu stark in die Rechte der Betroffenen eingreift.

 

Aktuelle Berichterstattung – EGMR

Glaubt man dabei dem, was in letzter Zeit in der Presse berichtet wurde, darf der Arbeitgeber dabei ganz, ganz viel. „Kündigung nach verdeckter Videoüberwachung zulässig“ titelten verschiedene Zeitungen und Internetseiten nach dem 17. Oktober 2019, und manch ein Arbeitgeber hoffte wohl schon, nunmehr völlig freie Hand zu erhalten.

Bei näherer Betrachtung dessen, worüber da berichtet wurde, stellte man jedoch fest, dass nicht etwa darüber, was jetzt in Deutschland zulässig ist und was nicht, berichtet wurde, sondern lediglich über ein Urteil – immerhin der Großen Kammer – des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg, die eine Einzelfallentscheidung der spanischen Gerichtsbarkeit daraufhin überprüfte, ob diese eine Verletzung des aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention hergeleiteten Menschenrechts auf Privatleben darstellt (was die Große Kammer verneinte).

Herleitungen dazu, was jetzt aber nach aktueller Rechtslage in Deutschland zulässig ist und was nicht, ermöglicht die EGMR-Entscheidung bei näherer Betrachtung jedoch in keiner Weise.

Rechtslage in Deutschland – klar bis zum 24. Mai 2018

 Was in Deutschland dazu geltendes Recht ist, war für die Betroffenen jedenfalls bis zum 24. Mai 2018 relativ klar absehbar. Bis zu diesem Datum galt die frühere Fassung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG alt). Dessen § 32 Abs. 1 Satz 2 bestimmte:

„Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.“

 Durch diese Vorschrift wurden die Anforderungen, welche innerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses an jede Form der Datenerhebung zur Aufdeckung von Straftaten zu richten waren, gesetzlich definiert. Das Fertigen von Videoaufzeichnungen zur Feststellung des Verhaltens von Mitarbeitern war auch Datenerhebung in Sinne des BDSG alt, da das dokumentierte Verhalten der Betroffenen „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse“ dieser im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG alt darstellten.

Für die Rechtsprechung (vgl. hierzu auch BAG, Urteil vom 21.11.2013, 2 AZR 797/11) stand damit fest, dass jede heimliche Videoüberwachung von Beschäftigten unter der Voraussetzung stand, dass

  • ein konkreter Verdacht gegen einen bestimmten Arbeitnehmer oder einen räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern bereits bestand,
  • alle weniger einschneidenden Maßnahmen, die denkbar sind, sowohl zur Aufklärung des Verdachts als auch zur weiteren Einschränkung des Kreises der Betroffenen bereits ausgeschöpft waren, womit die Videoüberwachung im Ergebnis nur als letztes mögliches Mittel in Betracht kam, und
  • die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war, was insbesondere auch ein gewisses Gewicht des aufzuklärenden Fehlverhaltens, bei Ladendiebstählen im Ergebnis auch des nachvollziehbar entstehenden Schadens erforderte.

Die offene Videoüberwachung, die zur Aufdeckung von Ladendiebstählen ohnehin kaum geeignet sein dürfte, war nach § 6b BDSG alt jedenfalls insoweit, als öffentlich zugängliche Bereiche des Ladens beobachtet wurden, in aller Regel zulässig. Diskutiert wurde aber, ob aus der Pflicht zur Löschung, die nach § 6b Absatz 5 BDSG alt unverzüglich stattzufinden hatte, wenn die Daten zur Erreichung des Zwecks, zu dem sie erhoben wurden, nicht mehr erforderlich waren, ein Verwertungsverbot in Bezug auf Aufnehmen folgte, welche das Begehen von Straftaten von Arbeitnehmern folgte.

Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 23.08.2018 (2 AZR 133/18) jedoch entschieden, dass die langfristige Speicherung der Sequenzen, welche Straftaten dokumentieren, jedenfalls nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG alt zulässig gewesen sei. Erst für die Auswertung der offenen Videoüberwachung verlangte das BAG – nach altem Recht – wieder das Vorliegen der auch für die verdeckte Videoüberwachung geforderten Kriterien (also insbesondere anderer Tatsachen zur Begründung eines konkreten Verdachts).

 

Rechtslage seit dem 25. Mai 2018

Seit dem 25. Mai 2018 sind in Deutschland die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) und eine Neufassung des BDSG an die Stelle des bisherigen BDSG alt getreten.

Die DS-GVO ist dabei die höherrangige Norm. Diese ist ihrer Rechtsnatur nach eine vom europäischen Gesetzgeber erlassene Verordnung, die unmittelbar geltendes Recht beinhaltet, ihrer Natur nach also keiner Umsetzung durch die nationalen Gesetzgeber bedarf. Allerdings ist die DS-DVO mit zahlreichen Öffnungsklauseln versehen, die den Zweck haben, den nationalen Gesetzgebern doch erhebliche Entscheidungsspielräume zu belassen.

Im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes bestimmt Art. 88 DS-GVO, dass die Mitgliedsstaaten „sowohl durch Rechtsvorschriften als auch durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext, insbesondere für Zwecke der Einstellung, der Erfüllung des Arbeitsvertrags einschließlich der Erfüllung von durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen festgelegten Pflichten, des Managements, der Planung und der Organisation der Arbeit, der Gleichheit und Diversität am Arbeitsplatz, der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, des Schutzes des Eigentums der Arbeitgeber oder der Kunden sowie für Zwecke der Inanspruchnahme der mit der Beschäftigung zusammenhängenden individuellen oder kollektiven Rechte und Leistungen und für Zwecke der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses“ vorsehen können.

Der Bundesgesetzgeber hat hiervon durch § 26 BDSG Gebrauch gemacht.

In Bezug auf die Aufdeckung von Straftaten regelt diese Norm in ihrem Absatz 1 Satz 2 nunmehr, dass zu diesem Zweck personenbezogene Daten von Beschäftigten nur dann verarbeitet werden dürfen, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass die betroffene Person im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse der oder des Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

Sachlich scheint damit durch die neue Rechtslage kein großer Unterschied zur früheren zu bestehen, sind doch ebenso wie im früheren § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG alt nach wie vor konkrete Verdachtsmomente und eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung Voraussetzung für die Durchführung der jeweiligen Datenverarbeitungsschritte. Unter diesen Voraussetzungen scheint auch die verdeckte Videoüberwachung – betrachtet man nur den Wortlaut des § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG – nach wie vor möglich zu sein.

Allerdings enthält die vorrangige DS-GVO in ihren grundsätzlichen Bestimmungen und in den Bestimmungen zu den Rechten der betroffenen Personen jeweils Vorschriften, an denen sich die Wirksamkeit der durch den nationalen deutschen Gesetzgeber erlassenen Vorschriften messen lassen muss.

Art. 13 DS-GVO statuiert dabei als Recht der betroffenen Person einen umfassenden Informationsanspruch darüber, welche sie betreffenden Daten erhoben werden. Dieser Anspruch entsteht auch nicht irgendwann, sondern nach dem ganz eindeutigen Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 DS-GVO „zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten“.

Wendet man diese Vorschrift des Art. 13 DS-GVO ihren Wortlaut nach auf die Videoüberwachung an, so scheidet damit jedwede verdeckte Videoüberwachung aus, da bei einer solchen keine Information der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung der Daten möglich ist. Eine Ausnahme von dieser Verpflichtung sieht Art. 13 DS-GVO in ihrem Absatz 4 auch nur für den Fall vor, dass die betroffene Person über die diesbezüglichen Informationen bereits verfügt. Auch dies ist bei der verdeckten Videoüberwachung aber ja gerade nicht der Fall.

Zudem gebietet Art. 5 Abs. 1b) DS-GVO als Grundsatz der DS-DVO eine strenge Zweckbindung der erhobenen Daten. Auch diese folgt aus dem auch Art. 13 DS-GVO zu Grunde liegenden Grundsatz der Transparenz der Datenverarbeitung zu Gunsten der betroffenen Personen. Dies könnte aber wiederum einer nachträglichen Auswertung von zu anderen Zwecken getätigten Aufnahmen – die das BAG nach alter deutscher Rechtslage ja ausdrücklich gebilligt hatte – entgegenstehen.

Dass eine Einschränkung dieser verbindlichen Vorschriften durch § 26 BDSG möglich ist, ist gegenwärtig jedenfalls zweifelhaft. § 26 BDSG wurde lediglich auf Grundlage der Ermächtigung aus Art. 88 DS-GVO erlassen. Dass die Einschränkung der Informationspflichten und der strengen Zweckbindung durch § 26 BDSG der Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten zu den dort genannten Zwecken dienen, wird man bereits bezweifeln können. Zudem regelt Art. 23 DS-GVO, dass die hier zur Disposition stehenden Rechte nur durch ein Gesetz eingeschränkt werden können, das sehr spezifische Vorschriften zur Einschränkung dieser Rechte enthält. Hier wird gegen § 26 BDSG insbesondere eingewandt, dieser sei zur Einschränkung vorstehender Rechte nicht ausreichend klar und präzise gefasst.

Ob § 26 BDSG diese Voraussetzungen wahrt, ist unter Arbeitsrechtlern gegenwärtig sehr umstritten. Im Ergebnis werden sich Arbeitgeber derzeit nicht auf die Wirksamkeit der Regelung verlassen können. Dies bedeutet, dass es keine Rechtssicherheit insbesondere für Kündigungen gibt, die auf der Grundlage von Verstößen ergehen, die nur durch Videoaufzeichnungen bewiesen werden können. Umgekehrt könne sich Arbeitnehmer – nachdem § 26 BDSG von vielen Arbeitsrechtlern auch für wirksam gehalten wird, nicht darauf verlassen, bei einem hierauf gestützten Vorgehen des Arbeitgebers gegen sie am Ende zu obsiegen. Die weitere Entwicklung – insbesondere der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung – bleibt daher abzuwarten. Bis diese vorliegt, werden die Beteiligten sich nicht auf die Richtigkeit einer der vertretenen Rechtsauffassungen verlassen können.

 

Mitwirkung des Betriebsrates

Wie bei allen technischen Überwachungseinrichtungen, die zur Verhaltenskontrolle von Arbeitnehmern eingesetzt werden können, besteht auch in Bezug auf die Installation einer – wie auch immer ausgestalteten – Videoüberwachung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, das sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) ergibt. Dieses bezieht sich, soweit der Arbeitgeber solche Überwachungsmaßnahmen wünscht, auf das Ob und das Wie einer solchen Überwachungseinrichtung.

Der Betriebsrat kann sein Mitbestimmungsrecht insoweit (notfalls) gerichtlich erzwingen.