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Mit 58 Jahren ist man(n) nicht im besten Alter, sondern ein alter Mann

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 26.09.2016 – 1 RVs 67/16 –

Wird ein 58-jähriger Mann als „alter Mann“ bezeichnet, liegt darin in der Regel keine nach § 185 StGB strafbare Beleidigung. Denn durch die (bloße) Behauptung einer Tatsache wird die betreffende Person grundsätzlich nicht herabgewürdigt. Dies hat jüngst das Oberlandesgericht Hamm entschieden.

Die Bezeichnung eines 58-jährigen Mannes als alter Mann ist nach Ansicht des nordrheinwestfälischen Oberlandesgerichts eine lediglich wahre Tatsachenbehauptung und als solche wertneutral. Etwas Anderes könne nur gelten – so der erkennende Senat – wenn der Bezeichnung eine über die bloße Kennzeichnung hinausgehende abwertende Konnotation zukomme. Dies war im entschiedenen Fall jedoch nicht ersichtlich.

Bedeutet dies nun, dass eine offensichtlich übergewichtige und unverheiratete Frau als dicke Jungfer, der Trinker als Alkoholiker, der Homosexuelle und der Sohn einer Prostituierten als  solche straffrei betitelt werden dürfen, sofern nur die zugrundeliegenden Tatsachen wahr sind? Mitnichten.

Zwar ist die Behauptung oder Verbreitung einer erweislich wahren Tatsache als solche keine strafbare Ehrverletzung. Möglich bleibt aber auch bei wahrer Tatsachenbehauptung eine Bestrafung wegen sog. Formalbeleidigung nach § 185 StGB, wenn sich das Vorhandensein einer Miss- oder Nichtachtung auch aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht, § 192 StGB. Die Ehrherabsetzung des Beleidigten folgt dann aus der Miss- oder Nichtachtung, die in der vom Beleidiger gewählten Äußerungsform oder ihren Umständen zum Ausdruck kommt.

Erforderlich, aber auch ausreichend dafür ist, dass durch die Form oder Begleitumstände eine selbständige, durch die wahren Tatsachen nicht mehr gedeckte herabsetzende Wertung zum Ausdruck gebracht wird, meistens zu erkennen an deren Vulgarisierung oder ihres fehlenden Bezuges zur jeweiligen Situation oder deren massenhaften Verbreitung.

Zur Feststellung einer solch herabsetzenden Wertung (Vulgarisierung) kommt es zunächst vor allem auf die sprachliche Konnotation der jeweiligen Kennzeichnung an. Ob die jeweiligen Kennzeichnungen eine negative Konnotation und damit herabsetzende Wertung ausdrücken, ist zunächst eine Frage des Zeitgeistes und ihrer Verwendung im jeweiligen Kontext, einschließlich des Umgangstons im Umfeld der Beteiligten. So hat die Bezeichnung schwul und homosexuell einen semantischen Wandel durchgemacht, der eine mit dem Gebrauch dieser Worte verbundene, herabsetzende Wertung trotz Tatsachenbezugs heute nicht mehr zum Ausdruck bringen dürfte. Die Verwendung des Wortes Neger dürfte exklusiv den damit beschriebenen Personen zukommen und innerhalb dieses Personenkreises wohl nicht als herabsetzende Wertung gedeutet werden.

Wird jemand öffentlich, z. B. in sozialen Netzwerken, trotz Wahrheitsgehalts, als Alkoholiker bezeichnet, dürfte dies in den meisten Fällen selbst dann eine strafbare Beleidigung darstellen, wenn es sich bei der betroffenen Person um Dionysos persönlich handelt. Denn die Verbreitung einer (wahren) Tatsache in einem Umfang, der zu ihrer Bedeutung in einem auffälligen Missverhältnis steht, wird ebenfalls als selbständige herabsetzende Wertung zu erachten sein (sog. Publikationsexzess).

Zusammengefasst: Es kommt also auch bei der Tatsachenbehauptung auf die Form und die Umstände der Äußerung an.

Sollten Sie Fragen zu den Beleidigungsdelikten haben, helfen Ihnen unsere Fachanwälte für Strafrecht Michael Bernard und Timo Korn gerne weiter.