Ein Beitrag von Rechtsanwalt Franz-Rudolf Dietz
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einem Beschluss vom 25.04.2022 unter Aufhebung der Vorentscheidung des Amtsgerichts Sinsheim eine Frau von dem Vorwurf einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit wegen des Nichttragens einer nicht medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasenbedeckung entgegen der zur Tatzeit gültigen Corona-Verordnung gemäß § 28a IfSchG in Verbindung mit der entsprechenden Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg freigesprochen.
Ob damit auch eine Änderung der verwaltungs- und arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung einhergehen wird, bleibt abzuwarten.
Zum Sachverhalt:
Die betreffende Frau war im Dezember 2020 einkaufen gegangen, ohne eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Sie wusste, dass in dem Ladengeschäft das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gefordert war.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts, wonach das von der Betroffenen vorgelegte ärztliche Attest nicht ausreiche, weil sich aus ihm nicht nachvollziehbar ergebe, welche konkret in Betracht kommende Beeinträchtigung aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten sei, woraus diese Annahme resultiere, ob und ja welche Vorerkrankungen vorlagen und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei, ist das OLG Karlsruhe zu eine entgegen gesetzten Beurteilung gelangt.
Das OLG Karlsruhe hat unter Abwägung abweichender Rechtsauffassungen und der unterschiedlichen Anforderungen an ärztliche Bescheinigungen zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, bei Verhandlungsunfähigkeitsattesten in Strafverfahren o. ä., bei Abschiebungen, bei Befreiung von Schulbesuchen oder bei der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung aufgeführt, dass es bei der Frage der Beurteilung einer Ordnungswidrigkeit wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die einschlägigen Bestimmungen zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung der Nennung konkreter medizinischer Befunde nicht bedürfe.
Im Gegensatz etwa zur verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die Darlegungslast für das Vorliegen eines Befreiungstatbestandes denjenigen trifft, der sich auf den Befreiungstatbestand beruft und in dessen Einflussbereich die dazu liegenden Tatsachen liegen, sind diese Anforderungen auf den Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitsrecht nach Auffassung des OLG Karlsruhe nicht übertragbar.
Der Unterschied liegt schlicht und ergreifend darin, dass nach Art. 103 Abs. 2 GG, der auch für Ordnungswidrigkeitstatbestände gilt, eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Da im vorliegenden Fall die zur Tatzeit gültige Coronaverordnung des Landes Baden-Württemberg keine ausdrückliche Definition des Begriffs der „ärztlichen Bescheinigung“ oder qualitative Vorgaben hierzu enthielt, reichte das vorgelegte ärztliche Attest aus, um den Befreiungstatbestandes zu verwirklichen (vergleiche OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. April 2022, 2 Rb37 Ss 25/22).
Es bleibt abzuwarten, ob sich weitere Gerichte dieser Auffassung anschließen werden. Begrüßenswert wäre auch, wenn beispielsweise in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung die hier erfolgte , eng am Gesetzestext orientierte, Gesetzesauslegung erfolgen würde.