Gewinnen um jeden Preis – wenn ein Raser zum Mörder wird

Wenn im Straßenverkehr ein Mensch ums Leben kommt, stellt sich regelmäßig die Frage, ob einer der Beteiligten seine Sorgfaltspflichten missachtet hat und wegen fahrlässiger Tötung bestraft werden muss. Für den Unfallverursacher kann es aber auch viel Schlimmer kommen: er kann tatsächlich auch wegen Mordes angeklagt werden. Die Folgen sind ähnlich weit voneinander entfernt wie Himmel und Hölle: Während die fahrlässige Tötung meist mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe geahndet wird, ist beim Mord eine lebenslange (!) Freiheitsstrafe zwingend.  

 

Wo liegt der Unterschied zwischen einer „nur“ fahrlässigen Tötung und einem Mord?

Mord erfordert zunächst einen Vorsatz, juristisch ausgedrückt das „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“. Bei Handlungen, deren Zweck darin liegt, den Tod eines Menschen herbeizuführen – etwa einem Schuss in die Brust zur Erreichung des vorzeitigen Erbfalls – liegt der Tötungsvorsatz auf der Hand. Wie aber sieht es aus, wenn das primäre Ziel gerade nicht in der Tötung liegt, keine Pistole im Spiel ist, das Opfer noch nicht einmal konkret ins Visier genommen wird?

Der Berliner Ku’damm-Raserfall handelt von einem solchen Fall: zwei junge Männer, autoverliebt, „sportlicher“ Fahrstil an der Tagesordnung, zahlreiche Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung bereits dokumentiert. Beide fahren hochmotorisierte, technisch bestens ausgestattete Fahrzeuge und pflegen eine Vorliebe für illegale Autorennen. Am 1. Februar 2016 lieferten sie sich ein spontanes Rennen auf dem Berliner Kurfürstendamm zur Nachtzeit. Mit bis zu 160 km/h überquerten sie dabei mehrere rote Ampeln. Es kam wie es kommen musste: Einer der beiden Fahrer kollidierte mit einem Jeep, dessen Fahrer, ein 69-jähriger Mann, starb sofort. Was der Sachverständige im späteren Prozess feststellte: Es gab keine Bremsversuche durch die beiden Raser und keine Überlebenschance für das Opfer.

Dass das Rasen mit 160 km/h über rote Ampeln für andere Verkehrsteilnehmer gefährlich – potentiell sogar lebensgefährlich ist – liegt nahe. Aber „wollten“ die Raser auch den Tod eines Menschen, wenn das Ziel doch darin lag, das Autorennen zu gewinnen?

Eine absichtliche Tötung ist fernliegend. Für den Vorsatz reicht allerdings auch, wenn der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt und den Taterfolg „billigend in Kauf nimmt“ oder sich zumindest mit dem Erfolg abfindet. Frei nach dem Motto: „Na wenn schon.“ Eine nur (bewusste) Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter den Erfolgseintritt nicht will und auf sein Ausbleiben ernsthaft vertraut. Statt „na wenn schon“ glaubt der Täter also „es wird schon gutgehen“. Der Berliner Ku’dammraser – Fall hat diese juristisch seitjeher umstrittene Frage zur Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz neu entfacht.

Da weder das Gericht noch Sachverständige dem Angeklagten „in den Kopf schauen“ können und selbst der Dümmste – oder schlechtmöglichst verteidigte – Angeklagte sich kaum dahingehend einlässt, dass er den Tod des Opfers „in Kauf genommen“ habe oder dieser ihm schlicht schnuppe war, müssen objektive Kriterien zur Bewertung herangezogen werden: die Gefährlichkeit der ausgeführten Handlung, das Verhalten vor und nach der Tat, der Grad der eigenen Gefährdung und die Persönlichkeit des Täters und Ähnliches werden als Indizien herangezogen. Im Grunde also ein Versuch, psychische Vorgänge anhand äußerer Faktoren zu rekonstruieren, der Rückschluss vom Äußeren aufs Innere. Eine hohe Eigengefährdung etwa legt nahe, dass der Täter auf den unfallfreien Ausgang vertraut hat, während eine hohe Gefährlichkeit der Handlung für das Opfer eher dafür spricht, dass der Erfolgseintritt auch „gewollt“ war.

Damit aus einer vorsätzlichen Tötung – dem Totschlag – auch ein Mord wird, braucht es aber noch mehr: ein sogenanntes „Mordmerkmal“.

Der Mord ist eine vorsätzliche Tötung, welche zusätzlich durch eine besondere, sozial-ethische Verwerflichkeit charakterisiert wird. Das Gesetz unterscheidet dabei drei Gruppen von Mordmerkmalen: die Verwerflichkeit des Beweggrundes (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebes, Habgier, sonstige niedrige Beweggründe), die besonders verwerfliche Tatausführung (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) und bestimmte, besonders verwerfliche Zielsetzungen (Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat).

 

Was davon könnte bei einem Raser in Betracht kommen?

Möglich wäre bereits die Heimtücke. Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wer – wie der Jeep-Fahrer im Berliner Raserfall – als Autofahrer bei grün fährt, vertraut darauf, dass er gefahrlos losfahren kann und nicht mit einem heranrasenden Auto kollidiert und könnte daher arglos sein.

Ebenso in Betracht kommen niedrige Beweggründe. Diese liegen dann vor, wenn die Beweggründe der Tat auf sittlich-moralisch tiefster Stufe stehen. Das kann sich etwa daraus ergeben, dass zwischen dem Tatanlass und dem Taterfolg ein krasses Missverhältnis besteht – beispielsweise zwischen dem Erreichen eines Rennsiegs um den Preis eines Menschenlebens.

Schließlich könnte man noch in Betracht ziehen, dass es sich bei dem Auto um ein gemeingefährliches Mittel gehandelt hat. Ein Mittel ist dann gemeingefährlich, wenn es in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann. Ein Beispiel: eine Bombe. Aber auch ein Auto kann gemeingefährlich sein, wenn aufgrund der Unüberschaubarkeit der Situation potentiell eine unbestimmte Zahl weiterer Personen durch die Auswirkungen einer Fahrzeugkollision bedroht werden. Dieser Umstand muss dem Täter allerdings auch bewusst gewesen sein.

Es vergingen drei langwierige Verhandlungen vor dem Landgericht Berlin und zwei vor dem Bundesgerichtshof bis rechtskräftig feststand: Bei dem Berliner Raserfall handelte es sich um einen Mord. Die Merkmale Heimtücke und niedere Beweggründe lagen hier vor.

Der Schuldspruch: Einmal Mord in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung und einmal versuchter Mord in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung. Ein Paukenschlag, denn bislang mussten Raser, die den Tod eines Menschen verursachten, meist nur eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung befürchten.

Die Überzeugung der Richter: Das Rennen zu gewinnen war den Rasern wichtiger als das Leben anderer Verkehrsteilnehmer. Ob es zum Tod eines Menschen kommen würde, wurde schlicht dem Zufall überlassen. Auf das Ausbleiben eines Tötungserfolgs durften die Raser aufgrund der derart hohen Geschwindigkeit nicht mehr ernstlich vertrauen. Den Täter musste klar gewesen sein, dass sie das Rennen nur bei maximaler Risikosteigerung auch für Dritte gewinnen konnten. Die Angeklagten handelten zwar nicht als Mittäter, denn es fehlte an einem gemeinsamen Tatplan, allerdings beruhte es nur auf einem Zufall, welcher der Täter mit dem Jeep kollidierte, sodass der nicht unmittelbar am Aufprall beteiligte Raser wegen versuchten Mordes bestraft wurde.

Was ebenfalls berücksichtigt wurde: Das Rennen fand nicht auf einer Landstraße oder einem dünnbesiedelten Gebiet statt, sondern auf der zentralen Hauptverkehrsstraße in Berlin. Die Straße war auch bei Nachtzeit noch gut besucht; Menschen, Privatfahrzeuge und Busse waren für die Fahrer ohne weiteres erkennbar.

Der Berliner Ku’dammraser-Fall sollte nicht der letzte Rasermordfall bleiben: Im Hamburger Raserfall stahl ein 24-Jähriger ein Taxi und floh von der ihn verfolgenden Polizei. Er lenkte das Fahrzeug auf die dreispurige Gegenfahrbahn und beschleunigte auf bis über 150 km/h. Auch hier kam es zu einer Kollision, einem Todesopfer und der anschließenden Verurteilung wegen Mordes. Ein weiterer Berliner Raser durchbrach eine Polizeisperre, floh und verursachte hierbei den Tod zweier Menschen, was ebenfalls eine Verurteilung wegen Mordes zur Folge hatte.

Gleichwohl: Natürlich ist nicht jeder Raser ist ein (potentieller) Mörder. Die Annahme eines Mordversuches wird – zu Recht – die Ausnahme bleiben.

Die politische Antwort auf die Raserfälle:  Der Gesetzgeber hat in das Strafgesetzbuch zusätzlich zu den bereits bestehenden Delikten im Jahr 2017 mit § 315d StGB ein weiteres Delikt aufgenommen: Das verbotene Kraftfahrzeugrennen. Wird durch das Rennen der Tod eines anderen Menschen verursacht (wobei hier eine fahrlässige Verursachung des Todes genügt), sieht der Paragraph eine Strafe von bis zu 10 Jahren Gefängnis vor.

Sollten Sie (viel) zu schnell gefahren sein, ist eine frühzeitige Verteidigung in jedem Falle sinnvoll. Unsere Fachanwältin für Verkehrsrecht und unsere Fachanwälte für Strafrecht stehen in dieser Situation mit Erfahrung und Kompetenz an Ihrer Seite.