Gemeinsam mit einem Kollegen führt Rechtsanwältin Jessica Hamed aktuell zwei Normenkontrollverfahren gegen „Corona-Verordnungen“ in Hessen und Bayern.
Mit Beschluss vom 08.04.2020 scheiterte das Eilverfahren in Hessen; die Verordnungen bleiben weiter in Kraft.
„Leider nicht überraschend – obgleich unseres Erachtens falsch –, wurde dem Normenkontrolleilantrag nicht stattgegeben. Überraschend ist jedoch die Qualität der Begründung. Eine Auseinandersetzung mit unserem knapp 140seitigen, ausdifferenzierten Vortrag ist im Wesentlichen nicht erfolgt. Stattdessen erhielten mein Kollege Marcel Kasprzyk und ich einen Beschluss, dem man nicht nur deshalb, weil er in weiten Teilen an unserer Argumentation vorbeigeht, ansieht, dass er im Wege des „copy paste“ entstanden ist, sondern auch, weil zum Teil Wörter fehlen oder auf einen angeblichen Vortrag von uns Bezug genommen wird, den wir gar nicht gemacht hatten,“ kommentiert Rechtsanwältin Hamed.
Auch die Antragsteller*innen Johannes Telgenbüscher und Christina Roth zeigen sich enttäuscht: „Das Mindeste, was wir als Bürger*innen erwarten dürfen ist doch, dass man uns erklärt, warum man unsere Grundrechte in einer derartigen, noch nie dagewesenen Weise einschränken darf und dass man sich mit unseren Argumenten auseinandersetzt“, sagt Christina Roth. „Ich habe fast den Eindruck, man hat gar nicht gelesen was unsere Rechtsanwält*innen geschrieben haben – oder zumindest wollte man sich nicht die Mühe machen, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen“, fügt Johannes Telgenbüscher hinzu.
„Es geht uns nicht primär um uns, es geht uns darum, wie mit unser aller rechtstaatlichen Errungenschaften umgegangen wird. Wir wollen uns nicht vorwerfen lassen, dass wir einfach nur zugesehen hätten, wie sich unser freiheitlicher, demokratischer Staat in einen Überwachungs- und Verbotsstaat verwandelt,“ sind sich Christina Roth und Johannes Telgenbüscher einig.
Jessica Hamed erklärt: „Zusammengefasst halten wir die Corona-Verordnungen 3 und 4 aus folgenden Gründen in Gänze für verfassungswidrig: Es gibt bereits keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage. Der Bundestag hat es versäumt, entsprechende Gesetzesänderungen vorzunehmen. Wahrscheinlich sollte überdeckt werden, dass die vor der Gesetzesänderung verhängten Maßnahmen ohne Rechtsgrundlage geschehen sind. Ein gewagtes Spiel, das nur „gewonnen“ werden kann wenn die Gerichte weiterhin die Politik „mittragen“. Es gibt auch andere Beispiele wie die gestrige Entscheidung vom Oberverwaltungsgericht in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist wichtig, dass sich unsere Gerichte – spätestens in den Hauptsacheverfahren – nicht zu „Handlangern“ der Exekutive machen. Sie sind und bleiben das Kontrollorgan des Rechtsstaats.
Die Generalklausel, auf die alle Maßnahmen gestützt werden, ist viel zu weitgehend und zu unbestimmt. Ähnlich wie im Polizei- und Ordnungsrecht ist es Sache des demokratisch legitimierten Parlaments, wesentliche Eingriffe selbst zu normieren und nicht die Exekutive zu weitreichenden, unübersehbaren Maßnahmen zu ermächtigen. D.h. der Gesetzgeber hätte sog. Standardmaßnahmen, wie etwa ein Vereinzelungsgebot, die Möglichkeit, ohne Infektionsverdacht Läden und Restaurants zu schließen usw. normieren müssen. Bereits deshalb sind die Regelungen verfassungswidrig.
Darüber hinaus, sind die Maßnahmen unverhältnismäßig. Eine Auseinandersetzung mit der Entscheidungsgrundlage – spricht der Prognose der Entwicklung der Pandemie – fehlt im Beschluss nahezu vollständig. Letztlich gehen jegliche Unsicherheiten die bestehen ohne Wenn und Aber zu Lasten der Freiheitsgrundrechte.
Die grundrechtseinschränkenden Maßnahmen mögen vielleicht am Anfang wegen der unsicheren Datenlage für einen sehr begrenzten Übergangszeitraum verhältnismäßig gewesen sein, um sich Zeit zu verschaffen und eine valide Datengrundlage zu generieren. Diese Zeit hat man jedoch nicht genutzt. Seit Wochen nähert man sich nicht der Beantwortung der notwendigen Fragen, was jeden Tag deutlicher von renommierten Wissenschaftler*innen hinterfragt wird. Die Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers stößt ersichtlich dann – so wie hier – an seine Grenzen, wenn sich nicht einmal bemüht wird, eine validere Entscheidungsgrundlage zu erlangen.“
Erstaunt zeigt sich Jessica Hamed auch über den folgenden Umstand: „Wie der Senat zu der Feststellung gelangen konnte, dass die getroffenen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nahezu täglich neu überdacht und angepasst würden, ist nicht nachvollziehbar, da offenkundig seit knapp drei Wochen keine wesentliche Anpassung erfolgte. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun, bereits vor knapp zwei Wochen öffentlich mitteilen ließ: „Wir reden jetzt bis zum 20. April nicht über irgendwelche Erleichterungen.“ Daran scheint man sich auch In Hessen zu halten. Eine nahezu tägliche Anpassung ist insbesondere wohl kaum in der Befristung der Geltung der Maßnahmen auf knapp vier Wochen zu erblicken. Damit verkennt der Senat, dass die Verhältnismäßigkeit tagesaktuell zu prüfen ist und Maßnahmen nicht einmal ein paar Stunden länger als nötig aufrechterhalten werden dürfen. Mit dem Abstellen auf den angeblich kurzen Anordnungszeitraum verkennt der Senat die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes evident.“
„Wir geben nicht auf“, so Johannes Telgenbüscher und Christina Roth und kündigen an, gemeinsam mit ihren Rechtsanwält*innen weiter den Rechtsweg zu bestreiten.
Update: Grundrechtsklage und Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Staatsgerichtshof in Wiesbaden am Dienstag, 14.04.2020 eingereicht