Nach dem Willen der Bundestagsfraktion der SPD sollen gezielte, „offensichtlich unerwünschte“ und „erhebliche“ verbale sexuelle Belästigungen zukünftig unter Strafe gestellt werden. Nach dem Entwurf der SPD soll eine Belästigung insbesondere dann erheblich sein, wenn sie eine Person in ein sexuelles Geschehen einbezieht, einen erniedrigenden oder einschüchternden Charakter, eine gewisse Dauer hat oder wenn die betroffene Person ihr nicht auf zumutbare Weise ausweichen kann.
Bislang sind sexuelle Belästigungen nur dann strafbar, wenn sie mit einer körperlichen Berührung des Opfers einhergehen und die Körperberührung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild unter Berücksichtigung der Begleitumstände eine sexuelle Konnotation aufweist und das Opfer hierdurch belästigt wird. Strafbewehrt sind weiter sexuelle (exhibitionistische) Handlungen einer männlichen Person vor dem Opfer. Rein verbale, nicht-körperliche sexuelle Belästigungen sind dagegen nur dann strafbar, wenn sie mit einer Ehrverletzung einhergehen. Dies ist bei Äußerungen mit sexuellem Bezug nicht immer der Fall. Die bloß verbale (sexuelle) Belästigung erfüllt nur dann den Tatbestand der Beleidigung, wenn nach den Gesamtumständen in dem Verhalten des Täters zugleich eine gewollte Herabsetzung des Opfers zum Ausdruck kommt. Dies ist z. B. der Fall, wenn der Täter das Opfer durch seine Äußerung mit einem jederzeit zur Verfügung stehenden Lustobjekt zur Befriedigung von sexuellen Bedürfnissen gleichsetzt und damit dessen Minderwertigkeit zum Ausdruck bringt. Der unbeholfene oder gar plumpe Vortrag von Avancen stellt damit nicht per se eine strafbewehrte Beleidigung dar, mag dieser vom Adressaten auch als belästigend empfunden werden. Ohne diese ehrverletzenden Inhalte, sind sexuell motivierte Handlungen oder Äußerungen mit sexuellen Inhalten je nach Kontext unpassend, unanständig und unschön, zumindest strafrechtlich werden diese aber nicht sanktioniert.
Nach dem Entwurf würde auch eine verbale sexuelle Belästigung objektiv eine Beeinträchtigung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung begründen, indem der davon betroffenen Person das Recht genommen würde, in einer Situation selbst zu bestimmen, ob sie Teil eines sexualbezogenen Geschehens sein möchte oder nicht. Jede sexuelle Belästigung würde eine Herabwürdigung zum Sexualobjekt beinhalten, so die Begründung im Entwurf. Gleichwohl seien nicht sämtliche Äußerungen mit sexuellem Bezug sanktionswürdig. Schließlich habe das Sexualstrafrecht nicht die Aufgabe, moralische Vorstellungen durchzusetzen. Unerwünschte Komplimente, Äußerungen mit sexuellem Bezug, wie z. B. Kussgeräusche oder auf das Äußere bezogene Kommentare, würden zwar ebenfalls Eingriffe in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht darstellen, seien aber mangels Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsschwelle jedenfalls nicht sanktionswürdig.
Selbst wenn man die der rechtspolitischen Forderung zugrundeliegende Prämisse teilen sollte, dass bereits bloße verbale Äußerungen die der sexuellen Selbstbestimmung charakteristische Entscheidungsfreiheit tangieren (was nicht selbstverständlich ist, kann der Adressat der Äußerung doch bei der rein verbal gebliebenen sexuellen Belästigung selbst entscheiden, ob er der impliziten oder expliziten (Auf-) Forderung Folge leistet), würde die Umsetzung der rechtspolitischen Forderung sowohl den Gesetzgeber als auch den Rechtsanwender vor große Herausforderungen stellen. Die grundsätzliche Herausforderung bestünde vor allem darin, aus der Mannigfaltigkeit sozialer Interaktion diejenigen sexuell übergriffigen Handlungen zu bestimmen, die als erhebliche verbale, sexuelle Belästigung, sanktionsbewehrt sein sollen.
In struktureller Anlehnung an die bereits strafbewehrte körperliche, sexuelle Belästigung würde ein entsprechender Straftatbestand der verbalen sexuellen Belästigung wohl ebenfalls eine sexuelle Konnotation der verbalen Äußerung verlangen, die zusätzlich als eine Belästigung zu qualifizieren wäre. Wollte man die Feststellung der Belästigung nicht in das Belieben des vermeintlichen Opfers (oder in die Sittlichkeitsvorstellungen des jeweiligen Strafrichters) stellen und nicht zugleich jeden lediglich kommunikativ missglückten Annäherungsversuch bestrafen, müsste daher ein objektiver Maßstab gefunden werden, anhand dessen strafbewehrte (sexuelle) Äußerungen von tatbestandslosen Äußerungen und erhebliche Belästigungen von unerheblichen Belästigungen unterschieden werden könnten. Das dieser Maßstab so ausformuliert werden könnte, dass die Rechtsanwendung ohne Interpretation, subjektive Wertungen und ohne Heranziehung der Begleitumstände der Äußerung auskäme, erscheint fragwürdig, liegt es doch auf der Hand, dass die Frage nach dem Vorliegen einer Belästigung sowohl vom Kontext als auch von der individuellen Wahrnehmung abhängt. Während eine Äußerung nach den jeweiligen Begleitumständen, dem Äußernden und dem Adressaten der Äußerung in einem Fall ein (unbeholfenes) aber letztlich harmloses Flirten bedeutet, kann die Äußerung in einem nur in Nuancen abweichendem Kontext und für einen anderen Adressaten als eine Belästigung aufzufassen sein. Damit ist die Frage nach der Grenzziehung zwischen sozialschädlichen und rechtlich missbilligten und noch hinzunehmenden sozialen Interaktionen aufgeworfen. Dabei würde die einseitige Fokussierung auf die Perspektive der Adressatinnen den grundrechtlich gebotenen Abwägungen bei Grundrechtskollisionen sicherlich nicht gerecht werden, sind doch auch verbale Äußerungen mit sexueller Konnotation nicht von vornherein den Schutzbereichen des Allgemeines Persönlichkeitsrechts entzogen. Dass der Freiheitsgebrauch des einen Grundrechtsträgers einen anderen Grundrechtsträger berührt, irritiert oder gar belästigt, ist einer freiheitlichen Ordnung immanent, verlangt aber nicht in jedem Fall vom Gesetzgeber, mittels Rechtszwang zwischen den berührten Grundrechtssphären für Ausgleich zu sorgen. Dem Strafrecht kommt hierbei eine Sonderrolle zu (ultima ratio), beschränkt sich seine Funktion doch darauf, gesellschaftlich absolut nicht mehr hinnehmbares Verhalten zu sanktionieren. Vor diesem Hintergrund werden sexuelle Belästigungen, die den personalen Achtungsanspruch des Adressaten verletzen und physische Übergriffigkeiten mit sexueller Konnotation bereits jetzt sanktioniert, sodass die Frage nach dem konkreten und als strafwürdig erachteten Unrechtsgehalt der dem Vorschlag der SPD zugrundeliegenden verbalen sexuellen Belästigungen, berechtigt sein dürfte. Dann müsste jedoch auch beantwortet werden, aus welchen Gründen gerade Äußerungen mit sexueller Konnotation gegenüber sonstigen Indiskretionen und respektlosen Kommunikationsformen strafbewehrt sein sollten.
Selbst wenn die vorgenannten Fragen beantwortet sein sollten und sich der Staat in Gestalt des (Straf-) Gesetzgebers für einen Ausgleich der betroffenen Freiheitssphären mit den Mitteln des Strafrechts entscheiden sollte, verlangt das verfassungsrechtlich geforderte Bestimmtheitsgebot, dass auch die jeweiligen Normadressaten ihr Verhalten verlässlich auf die geltende Rechtslage einstellen können. Dem Strafgesetzgeber obläge damit die Aufgabe, die aus dem schmalen Grat zwischen gesellschaftlich (noch) akzeptierten Annäherungsversuchen und erheblichen sexuellen Belästigungen resultierenden Unsicherheiten im Rahmen eines Straftatbestandes für die Normunterworfenen vorhersehbar zu gestalten. Sollte dies nicht gelingen, stünde zu befürchten, dass zahlreiche Formen von Annäherungsversuchen, ganz gleich ob von männlicher oder weiblicher Seite ausgehend, zukünftig unterblieben, um sich nicht der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen. Dies würde die sozialen Interaktionen zwischen den Geschlechtern nicht kultivieren, sondern enger machen. Zugleich muss sich auch die feministische Perspektive die Frage gefallen lassen, welchen konkreten Beitrag ein weiterer paternalistischer Vorstoß zum Schutz des weiblichen Geschlechts für die sexuelle Selbstbestimmung und Gleichberechtigung der Frau zu leisten vermag.
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